Vom Abgesang auf die Personalberatung
- Babette Woldt
- vor 6 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Immer wieder wird die Personalberatung als überholt angesehen. Seitdem ich Unternehmen bei der Rekrutierung geeigneter Kandidaten unterstütze, höre und lese ich, dass unsere Expertise eigentlich nicht erforderlich sei. Durch die Digitalisierung, expandierende HR-Abteilungen und das Konzept von New Work glauben viele, dass externe Fachkräfte, die zeit- und kostenintensiv auf die Suche nach Kandidaten gehen, überflüssig seien.
Die Realität zeigt allerdings, dass Personalberatungen nach wie vor bestehen und die Unternehmen, die auf ihre Expertise setzen, ebenfalls. Was ist also wirklich an den wiederholten Behauptungen über das Ende der Personalberatung dran?
Dinge ändern sich – und das ist völlig normal
Zugegeben: Der Markt hat sich verändert. Als ich vor über 20 Jahren in die Branche eintrat, war die Recruiting-Landschaft noch eine andere. Heute brauchen Unternehmen für nicht-technische und nicht-akademische Positionen tatsächlich kaum noch externe Unterstützung. Firmen, die eine moderne, aufmerksame und kreative Personalabteilung haben, sind in diesem Bereich mit den Social-Media-Plattformen und einigen digitalen Tools bestens bedient. Der Zeitaufwand hält sich in Grenzen und die Kompetenz der Recruiter ist völlig ausreichend, um die Mitarbeiter zu finden, die sie für ihre Teams benötigen.
Anders sieht es jedoch nach wie vor auf der Spezialisten- und Managementebene aus. Unternehmen, die ein neues Vorstandsmitglied, einen neuen Geschäftsführer oder Abteilungsleiter brauchen, muten ihren Personalabteilungen zu viel zu, wenn diese hier erfolgreich tätig werden sollen. Es ist schlicht nicht der Job einer jungen Personalreferentin, die Führungsebene ihres Unternehmens neu zu besetzen. Außerdem: Personalberatungen, die von außen kommen und den geeigneten Kandidaten suchen, haben naturgemäß einen neutralen Standpunkt und werden nicht – wie vielleicht die Personalabteilung – von inneren Kleinkriegen im Unternehmen beeinflusst.
Was braucht ein Kandidat, damit er tatsächlich wechselt?
Führungskräfte haben oft die Haltung: „Wer mich will, kommt durch einen Personalberater auf mich zu.“ Die wenigsten Manager hegen konkrete Wechselgedanken. Viele schätzen ihre Position und ihr Umfeld und brauchen deshalb gute Argumente, die für einen Wechsel sprechen. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass in 2022 43 % der Manager eine Kündigung mit anschließendem Neuanfang anstreben (wie uns die Studie von Qualtrics jüngst zeigte), ist es eine Sache, diesen Gedanken zu hegen, eine ganz andere, tatsächlich aktiv zu werden und diesen Schritt zu gehen.
Hier die innere Haltung zu beeinflussen, funktioniert nicht durch eine nette Mail oder ein paar standardisierte Floskeln am Telefon. Kandidaten wollen dort abgeholt werden, wo sie stehen. Sie brauchen jemanden, der von außen kommt und ihnen ehrlich und offen zeigt, welche Chancen und Risiken bestehen, wenn sie von einem Unternehmen zum anderen wechseln.
Personalberatung funktioniert immer dann gut, wenn sich alle auf Augenhöhe begegnen
Und da sind wir schon bei einem weiteren Punkt, den meiner Ansicht nach keine Künstliche Intelligenz und kein digitalisiertes Tool jemals übernehmen können: Es braucht Vertrauen und menschliche Begegnungen auf Augenhöhe, um einen Kandidaten zum Wechsel zu bewegen. Als Personalberaterin kenne ich nicht nur die Branche, die relevanten Wettbewerber und aufkommenden Trends, sondern verstehe auch die Unternehmenskultur und die spezifischen Anforderungen des Unternehmens, für das ich eine neue Führungskraft suche. Genau diese breitgefächerte Expertise ist es, die Kandidaten erwarten und die sie dazu bringt, Vertrauen in den Prozess zu haben.
Auf der anderen Seite des Schreibtischs ist dieses Thema aber genauso wichtig: Ein Unternehmen, das einen Personalberater beauftragt, braucht Vertrauen in dessen Kompetenzen und muss die externe Unterstützung als Lösung, nicht als notwendiges Übel, begreifen. Unternehmen müssen deutlich sehen, welchen Nutzen sie davon haben, mit einer Personalberatung zusammenzuarbeiten. Ist dieses Verständnis nicht vorhanden, hat das Auswirkungen auf den Suchprozess und ist sofort spürbar.
Es ist schon vorgekommen, dass ich von der Personalabteilung eines Unternehmens beauftragt wurde, ein Vertreter der Fachabteilung aber nicht damit einverstanden war, eine weitere Person in Briefing-Gesprächen oder Interviews dabeizuhaben. Wenn die Kommunikation auf Augenhöhe fehlt, können unterschwellige Konflikte wie diese auftreten und die Zusammenarbeit erschweren.
Was macht die Personalberatung unverzichtbar?
Ich sehe die Zukunft der Personalberatung wie folgt: Es wird unsere Dienstleistung weiterhin geben, vor allem weil Unternehmen Vakanzen auf Führungsebene unbedingt passend besetzen müssen. Es kostet zu viel Zeit und Geld, falsche Entscheidungen zu treffen. Die richtigen Entscheidungen können aufgrund der erforderlichen menschlichen Aspekte nicht von digitalen Tools getroffen werden. Personalberater sind vor allem durch ihre Erfahrung unverzichtbar – sie agieren zeitnah, auf hohem Niveau, mit höchster Fachkompetenz und gesicherter Vertrauenswürdigkeit.
Deshalb freue ich mich auch über alle seriösen und ernsthaften Nachwuchstalente, die unserer Branche beitreten. Der Beruf des Personalberaters ist nie eintönig, macht meistens viel Freude und lässt Menschen nicht nur fachlich, sondern auch persönlich immer weiter wachsen. In kaum einem anderen Job verfügt man über ein solch großes und kompetentes Netzwerk, bekommt ständig wertvollen Input und hat flexible Arbeitstage. Viele Gründe also, um positiv in die Zukunft zu blicken und dafür zu sorgen, dass Unternehmen weiterhin erkennen, wie wichtig eine gute Personalberatung ist.